Mittwoch, Juli 08, 2015

Die vierte Singularität

Wendepunkte der Menschheit

Ray Kurzweil hat in seinem Buch "The Singularity is Near" [1] beschrieben, wie das exponentielle Wachstum der Technologien zu einem fundamentalen Wandel führen könnte. Er setzt sogar ein Datum, das Jahr 2045. Aber ist das eine realistische Vision und was genau könnte passieren?

Die erste Singularität

Wie so oft, es ist nützlich in die Vergangenheit zu sehen um zu erkennen, wie grundlegend die Welt der Menschen oder soll man hier schon sagen der Mensch die Welt verändert hat. 
Der erste große Schritt war die Erfindung des Werkzeugs. Mit einem Speer, der durch einen geschärften Stein zu einer tödlichen Waffe wird, ist der Mensch von etwa 500.000 Jahren losgelaufen um große Wildtiere zu erlegen. Darauf waren viele Tiere nicht vorbereitet und dadurch hat die Menschheit bereits vor vielen tausend Jahren das Gleichgewicht zwischen klassischen Jägern, insbesondere Raubkatzen und Großsäugetiere aus dem Gleichgewicht gebracht [3]. 
Auf der anderen Seite konnte der Mensch damit derart viel Lebensmittel erbeuten, dass sein Gehirn weit über die übliche Größe wuchs.
Pfeilspitzen aus Stein. Quelle: Wisconsin Historical Museum
Das war also eine Art singuläres Ereignis in der Menschheitsgeschichte. 

Die zweite Singularität

Vor über 5000 Jahren begann der Mensch nach verheerenden Eiszeiten, in denen er fast ausgestorben wäre, eine völlig neuartige Art der Nahrungsquelle zu erschließen, die Landwirtschaft. Durch günstige Umstände ist es ihm im fruchtbaren Halbmond, und wohl auch an anderen Gegenden in denen günstige Bedingungen herrschten, gelungen selbst Lebensmittel anzubauen. Zunächst wohl Getreide, das sich durch Sammeln von Grassamen zunächst selbst aussäht und später dann durch gezieltes Sähen, Ernten und Lagern von Getreide [4][5].

Parallel dazu entstanden große Dörfer und auch bald Städte. Die Landwirtschaft hat einen erheblichen Einfluss auf die Umwelt. Durch Rodung, Reisfelder und Rinderzucht ist wohl mehr Treibhausgas in die Atmosphäre gelangt, was zu einer Verbesserung des Klimas führte.
Die erfolgreiche Landwirtschaft hat die Zahl der Menschen, die auf einer Fläche leben können, gewaltig angehoben, die Zahl der Menschen muss sich mindestens verzehnfacht oder gar verhundertfacht haben.
Die Lebensgrundlage Landwirtschaft ist aber ein mühevoller Weg satt zu werden. Einmal angefangen, kann man nicht mehr in das Paradies zurück, weil einfach nicht genügend natürlich Nahrung vorhanden ist.
Nach der zweiten Singularität war alles anders, jeder war gezwungen viel zu arbeiten.

Die dritte Singularität

Vor etwa fünfhundert Jahren begann eine Entwicklung, die wiederum zu einer völlige Veränderung des Lebens aller Menschen führte. Mit der Druckerpresse war es möglich, Information beliebig zu Kopieren und Bücher in Serie zu produzieren. Dieser erste industrielle Prozess hat eine Rückkopplung ausgelöst, mehr Bücher, billigere Bücher, mehr Menschen können sich Bücher leisten, mehr Menschen können lesen. 
Das Wachstum der Eisenbahn, ein Teil der industriellen Revolution, eigene Animation, Daten: Uni-Mainz.

Damit gibt es mehr Kreativität zum Erfinden. Die Dampfmaschine und die Dampflok führen direkt zum Industriezeitalter. Der Traktor ersetzt die Arbeitskräfte auf dem Feld und plötzlich arbeitet nur noch ein Prozent in der Landwirtschaft. Arbeit die während der zweiten Singularität erfunden wurde ist plötzlich nicht mehr da.
In Fabriken und Büros ist es viel bequemer als bei sengender Hitze auf dem Feld mit eigener Muskelkraft zu ernten. 
Ohne Muskelkraft wird das Heu in Windeseile von modernen Maschinen in der Landwirtschaft geerntet

Die dritte Singularität hat die Welt in eine Industrielandschaft verwandelt, Straßen und Leitungen verbinden fast alle Orte, die Luft ist mit CO2 und anderen Abgasen geschwängert, die Zahl der Menschen hat sich abermals verzehnfacht. 
Auch nach der dritten Singularität gibt es keinen Weg zurück, die Welt hat sich grundlegend und unvorstellbar gewandelt.

Die vierte Singularität

Die vierte Singularität liegt noch vor uns, aber wie weit?
Durch die immer weitere Verkleinerung der Technologie ist es möglich, in einem Smartphone genau so viel Rechenleistung zur Hand zu haben, als 1994 im stärksten Supercomputer zur Verfügung stand. 
Rechenleistung verändert aber seine Eigenschaften qualitativ wenn die Quantität enorm wächst. Die Rechenleistung eines Schneckengehirns wird niemals zum Werkzeuggebrauch führen, die Rechenleistung eines Affen kann das sehr wohl. 
Wir sind an der Schwelle, an der die Rechenleistung großer Computer nahe an die Rechenleistung eines Gehirns heranreicht. Es ist sicher noch die Frage der Software und auch der Geduld, bis diese Supercomputer genügende gelernt haben. Man bedenke, dass selbst ein Mensch viele Jahre benötigt, bis er so klug ist um aktiv am Berufsleben teilzunehmen.
Wann beginnt der Computer die Rechenleistung eines Menschen zu haben? [6]

Wird diese Schwelle zu intelligenten Computern überschritten, verlieren wir den Einblick was dann geschieht. Es ist ähnlich wie an einer Schwerkraft-Singularität, dem Schwarzem Loch. Um die Singularität gibt es einen Radius hinter den man nicht sehen kann. Die Singularität bleibt verborgen
Die nächste Singularität ist die Hyper-Intelligenz, Systeme die einen IQ über alle bekannten Grenzen hinaus entwickeln. Wir können nicht ahnen was das bedeutet, so wenig wie Gutenberg ahnen konnte, dass seine Bibel zum Sturz der Religionen führen wird und das Industriezeitalter einleitet.
Die vierte Singularität könnte der Weg zurück in ein Paradies sein, aber auch das Ende für die Menschheit [7].

Zum Thema: Der Effekt der Lernkurve

Quellen:

[5] Stories from the Stone Age, sehenswerte Videodokumentation